100 Jahre Bauhaus

Magdeburg Reformstadt der Moderne

Erzähltes & Ungesagtes meiner Großeltern W. und O. Nagel

Aus: Schallenberg, Salka: Buch Echt clever! Geniale Erfindungen aus Sachsen-Anhalt Wartberg Verlag 2018
Der neue Bauwille
Der Generalsiedlungsplan Bruno Tauts (1923)


Zu Beginn des des 19. Jahrhunderts beschränkte sich das Stadtgebiet Magdeburgs auf  die  eng  gezogene  Mauern  der  Altstadt  mit  den Festungsanlagen. Weit außerhalb lagen die napoleonischen  Gründungen  der  Neuen  Neustadt  und  der  Sudenburg.  Am Ende des 19. Jahrhunderts, um 1880, hatte sich das Stadtbild  komplett verändert. Die städtische  Bevölkerung  war auf 100 000  Einwohnern  angewachsen und  Magdeburg  gehörte  nun zu den ca.  30 deutschen  Großstädten.  Vor allem die Ansiedlung  und  das  Wachstum  der  Magdeburger  Metall-  und  Maschinenindustrie führten ab 1885  zu  einer regelrechten Bevölkerungsexplosion, und die Gebiete um den Hasselbachplatz  und  Buckau  waren extrem dicht bebaut. Die Folge waren schlechte hygienische Verhältnisse und dunkle Wohnungen. Ein für deutsche Städte typisches Problem in dieser Zeit.  Kurz vor dem Ersten Weltkrieg lebten durch weiteren Zuzug und verschiedene Eingemeindungen etwa  280.000  Menschen  in  Magdeburg.


Zu dieser Zeit entstand in England  die Gartenstadt-Vison und fand schnell Anhänger. In Magdeburg gründeten 19 Arbeiter des Grusonwerkes 1909 die Genossenschaft „Gartenstadt-Kolonie Reform“. Ab 1911 entstanden nach Plänen des Magdeburger Architekten Glimm die ersten vier Häuser. Ab 1912 erhielten die Architekten Bruno Taut und Franz Hoffmann den Auftrag für die Planung der Siedlung. Es entstanden vorwiegend Reihenhäuser mit einer starken Farbgebung. Bruno Taut stellte sich neue Städte vor mit bis zu 500.000 Einwohnern, ohne Mietskasernen, alles im Sinne einer Gartenstadt. Einzelhausreihen mit Gärten wollte er mit der aufkommenden Schlichtheit des Bauhaus-Stils verbinden.
Der Erste Weltkrieg unterbrach die Planungen. Aber danach begann eine Zeit des Aufbruchs für die Kunst und Kultur, wie es das Weimarer Bauhaus ab 1919 zeigte. Später machte das Bauhaus sich auf den Weg. 1925 bis 1926 entstand in Dessau ein Gebäude für die Kunst-, Design- und Architekturschule. Das Bauhaus Dessau ging in eine neue Zeit, die Verbindung mit der Industrie bot neue Reize. Der Unternehmer Hugo Junkers unterstützte von Anfang an die Akteure des Bauhauses. Zusammen mit den Junkerswerken entwarf zum Beispiel der Designer Marcel Breuer seine Stahlrohrmöbel.
Parallel zur Entwicklung des Bauhauses und inspiriert von ihm ging auch Magdeburg in eine neue Zeit. Mit der Gestaltung der „Gartenstadt-Kolonie Reform“ in Magdeburg hatten sich Taut und Hoffmann großes Ansehen erworben. Da dringender Bedarf an einer weitreichenden Stadtentwicklung bestand, berief der sozialdemokratische Bürgermeister Hermann Beims 1921 den avantgardistischen und kreativen Architekten Bruno Taut zum Stadtbaurat mit dem Auftrag, für Magdeburg einen Generalsiedlungsplan zu erstellen.
Eine Stadt sollte entstehen, für zukünftig 700.000 Einwohner mit innovativen Wohnbedingungen und einer gewaltigen Infrastruktur, wie z. Bsp. dem Ausbau des Straßenbahnnetzes, Bau von Brücken und dem Anlegen von Parks und Grünanlagen. Taut umgab sich mit einem Stab junger und gleichgesinnter Architekten wie Johannes Göderitz und Carl Krayl. Neben der Fertigstellung des Generalsiedlungsplans, der bis in die nachfolgenden Jahrzehnte Wirkung zeigte, setzte Taut seine architektonische Farbgebung in Magdeburg konsequent durch. Magdeburg wurde eine „Stadt des neuen Bauwillens“, die unter dem Architekten Bruno Taut gewagte Wege ging.
Auch wenn nur wenige Ideen von Bruno Taut realisiert wurden, so legte er doch den Grundstein für einen großflächigen Siedlungsbau. Die  Architekten wie Johannes Göderitz und Carl Krayl waren Wegbegleiter Tauts und prägten das Stadtbild ebenfalls. Göderitz war ab 1923 als Magistratsbaurat verantwortlich für die städtische Hochbauverwaltung.
Sein großes Projekt ab 1924 war die Planung einer Wohnsiedlung an der Magdeburger Großen Diesdorfer Straße (heute „Hermann-Beims-Siedlung“). Zwischen 1925 und 1932 entstanden in Magdeburg fast 11 000 neue Wohnungen. Architektonisch waren die neuen Siedlungen interessant gestaltet. Grüne Innenhöfe und Wohnungen, die ihren Bewohnern Licht, Luft und Sonne brachten. Nicht zu vergessen, die Fassaden, die in der neuen Siedlung farbliche Akzente setzten. Eine Großwohnsiedlung, die ihresgleichen sucht.
Die Stadtplaner verwendeten ein neues Modell des Sozialwohnungsbaus. Seit 1921 waren gemeinnützige Wohnungsbaugenossenschaften im „Verein für Kleinwohnungswesen G.m.b.H“ zusammengeschlossen. Sie erhielten von der Kommune Bauland im Erbbaurecht und zinsgünstige Darlehen. Ideal für ein großflächiges Bauprogramm. So entstanden u.a. die Curie-Siedlung, die Anger-Siedlung, die Siedlung Cracau, die Beims-Siedlung, Siedlungen in Fermersleben und Westerhüsen. Aber auch die von Bruno Taut geplante Gartenstadt-Kolonie Reform oder die Häuser entlang der Otto-Richter-Straße. Der übergeordnete Verein half bei der Beschaffung von Krediten und übernahm die Bauleitung. 1927 wurde der Grundstein für die Magdeburger Stadthalle gelegt, entstanden nach dem Entwurf von Johannes Göderitz.
Noch heute gibt es zahlreiche Gebäude aus der Zeit des „Neuen Bauwillens“, so zum Beispiel das Gebäude der AOK, Volksbad Südost (Gröninger Bad) oder das Haus 10 der Universitätsklinik.
Die Siedlungen sind inzwischen denkmalgerecht instandgesetzt. Eine aufwendige, aber lohnende Aufgabe. Originalanstriche waren zum Teil verdeckt und mussten freigelegt werden. Historische Fenster und Türen mussten rekonstruiert werden. 2018 wurde die von der WOBAU sanierte Beims-Siedlung für den Deutschen Bauherrenpreis nominiert. Insgesamt hat die Genossenschaft 108 Wohnungen modernisiert. Als „komplexe Sanierung eines denkmalgeschützten Ensembles aus den 1920er Jahren“ hob die Jury hervor, dass die Siedlung nicht nur denkmalgerecht erneuert wurde, sondern ebenfalls modern ausgestattet.