Etta Scollo veröffentlichte im Januar 2025 ihr neues Album. Nirgendland heißt es, und erschien auf Jazzhouse Records. Die Künstlerin widmet sich darauf der Poetin Mascha Kaléko. Anlässlich ihres 50. Todestages hat sie Kalékos Gedichte in Musik übersetzt.
Mich verbinden zwei Begegnungen mit beiden Frauen. Zum einen haben wir im Sender kulturmd vor einiger Zeit den Gedichtband ‚Wir haben keine andre Zeit als diese‘ von Mascha Kaléko vorgestellt. Speziell suchten wir eine Antwort auf den Krieg in der Ukraine und damit die Flucht vieler Ukrainer nach Deutschland. Dabei spielte das Gedicht ‚Kein Kinderlied‘ eine wesentliche Rolle. Zum anderen konnte ich schon vor fünf Jahren eine CD von Etta Scolla rezensieren: Il Viaggio Di Maria - die Reise der Maria.
Etta Scollo ist es ein Anliegen geworden, Musik mit Literatur und Dichtung zu verbinden. In Sprache und Musik treffen sich Menschen und ihre Lebenswege. Sie entdecken Verbundenheit, wo vorher Fremde war. In diese Tradition reiht sich das neue Album „Nirgendland“ (Nessunluogo)
Nirgendland ist auch das letzte Wort im Gedicht ‚Kein Kinderlied‘.
2007 begegnete Scolla in Catania, Sizilien (ihrer Heimat) der Kaléko ein erstes Mal. In einem kleinen Buchladen fiel ihr ein zweisprachiger Gedichtband der Poetin, von deren Lyrik Scolla nun nicht mehr los kam. „Ich hatte das Buch immer dabei, und hatte das Gefühl, ihre Gedichte begleiteten mich wie eine gute Freundin“ sagt Etta Scollo über das Erlebnis. Doch es sollte noch einige Zeit brauchen, bis sich ein passender Rahmen fand, der Poetin eine Hommage zu widmen.
Bei einer zweimonatiger Künstlerresidenz in der renommierten Villa Massimo in Rom wurde es dann konkreter. Sie lud sich die Schauspielerin Eva Mattes dazu ein. Mit ihr nahm Scollo gemeinsam 2 Duette für das Album auf.
Ebenso spielte die ideelle Unterstützung der Stiftung Exilmuseum in Berlin eine bedeutende Rolle in der Realisierung des Albums.
Zentraler Fokus des Albums ist die Frage nach Heimat und Identität – Themen, die Mascha Kalékos Leben und Werk prägen und auch in Etta Scollos künstlerischer Auseinandersetzung tief verwurzelt sind. Kaléko, die 1938 vor dem NS-Regime in die USA fliehen musste, erlebte die schmerzvolle Erfahrung des Exils und die damit verbundene Entwurzelung. Für Etta, die seit ihrer Jugend zwischen verschiedenen Kulturen und Orten pendelt und heute zwischen Sizilien und Berlin lebt, sind Kalékos Verse ebenfalls eine Resonanz ihrer eigenen Lebensentscheidungen und der Suche nach Zugehörigkeit. Jedoch bewegt sich diese Resonanz heute in einem anderen, modernen und europäisch-demokratischen Kontext. „Zur Heimat erkor ich mir die Liebe“, heißt es in einem der für Etta Scollo bedeutendsten Gedichte Kalékos, „Die frühen Jahre“, das Scollo als erstes Stück für „Nirgendland“ (Nessunluogo) vertonte. Dieser Satz wurde zum Anker des gesamten Projekts.
Der Titelsong „Nirgendland“, inspiriert von Kalékos Gedicht „Kein Kinderlied“, bildet das Herzstück des Albums. Mascha Kaléko schreibt darin: „Die Wälder sind verschwunden, die Häuser sind verbrannt. Hab keinen mehr gefunden. Hat keiner mich erkannt. Und als der fremde Vogel schrie: bin ich davongerannt. Wohin ich immer reise, ich komm nach Nirgendland.“
Das Lied ist ein a cappella gesungenes Stück, das die Vereinsamung und Orientierungslosigkeit thematisiert, die Kaléko in ihrer Zeit im Exil erlebte. Zugleich ist es ein eindringlicher Kommentar zu unserer politischen Gegenwart, der auch auf dem Rest des Albums subtil, aber doch präsent bleibt. „Nirgendland“ (Nessunluogo) wird so zu einem musikalischen Mahnmal gegen die Abgrenzung und für das Erinnern.
Musikalisch bedient Scollo wie gewohnt verschiedenste Stile und Genres: jazzige Klänge, Chanson-Elemente und eindringliche Vokalstücke.Für das Album leisteten die Klarinettistin Tara Bouman, die Cellistin Susanne Paul, sowie die deutsche Liedermacherin Dota Kehr einzigartige Beiträge, aber auch die belgische Vibraphonistin Els Vandeweyer und Schauspielerin Maddalena Crippa.
„Nirgendland“ (Nessunluogo) ist weit mehr als ein musikalisches Album oder die Vertonung von Literatur aus der Bewunderung heraus – es ist ein künstlerisches Projekt, das Etta Scollo selbst als eine der zentralen Stationen ihrer Karriere betrachtet. Ihre facettenreiche Interpretation von Mascha Kalékos Poesie zeigt, wie zeitlos und kraftvoll die Worte der Dichterin auch heute noch sind. Und wie sie in Musik übersetzt zu einer Sprache werden, die Grenzen überschreitet – „Nirgendland“ (Nessunluogo) ist ein intimes und zugleich universelles Werk, und Kalékos Worte finden in Scollos Musik auf „Nirgendland“ (Nessunluogo) eine neue Heimat, die weit über das Exil der eigenen Erfahrung hinausgeht.
Mein Fazit: Dringende Hörempfehlung und am besten die Verse der Kaléko aus dem eingangs erwähnten Gedichtband dazu lesen.
21.08.24: Rezension: 50 Gedichte der neuen Sachlichkeit, Mascha Kaleko, Spät nachts
Mascha Kaléko Gedichte über das Leben I
Mascha Kaleko Gedichte über das Leben II