Rezension Philip Kerr: 1984.4
Übersetzt von: Uwe-Michael Gutzschhahn
Herbst 2015. Die Leiterin der Redaktion rowohlt rotfuchs, Christiane Steen, lernt den Autor Philip Kerr kennen. Erfährt viel über sein Leben. 2016 übergibt Kerr ihr das Manuskript zum Buch „1984.4“. Immer gab es anderes, Wichtigeres, der Autor schrieb neue Bücher. Das Manuskript war vergessen, kein Gespräch darüber. Erst nach dem Tod des Autors 2018 fand das Buch den Weg in den Verlag. Nun ist der Roman „1984.4“ Ende Januar 2021 bei rowohlt rotfuchs erschienen, in der Übersetzung von Uwe-Michael Gutzschhahn.
Schon der Titel lässt an George Orwell denken – der Autor selbst erklärt es in seinem Vorwort: „Das vorliegende Buch „1984.4“ aus einem Paralleluniversum ähnelt Orwells großem Roman und ist gleichzeitig sehr anders. […]
„1984.4“ ist von dem Roman „1984“ beeinflusst.“ Und „Die Zeit wird erweisen, ob umgekehrt „1984.4“ auch den Roman „1984“ beeinflusst.“ schreibt Philip Kerr im April 2015. Parallelwelt – in dieser ist alles anders als in unserer, aber diese Welt existiert parallel. So ist das Buch „1984.4“ getragen von der der Phantasie und der Liebe.
Der Roman spielt im Jahr 2034. Leben und Tod alles ist unter Kontrolle, der geheimnisvolle „Winston“ wacht über alle. Keine Staaten: England und Wales ist die West-Halbinsel 1 -WH1. Die 16-jährige Florence arbeitet aus voller Überzeugung für den sogenannten Senior Service. In der Burg erhält sie ihre Ausbildung. Geschult, um ältere Menschen zu enttarnen und zu töten, die sich weigern, freiwillig aus dem Leben zu scheiden, um Platz für die Jüngeren zu machen.
In der Hommage an Orwells Klassiker ist das Leben auch einfach und stupide. Aber anders ist, dass Philip Kerr, das aufgreift, was sich in der Gesellschaft schon abzeichnet. Und er spitzt es zu, wie es 2034 sein könnte: Übermacht der Populisten mit tagtäglich gelebten alten Denkmustern aus der NS-Zeit.
In der Zeit der Entstehung des Romans 2015 ist vieles in den Anfängen, was heute im Jahr 2021 bereits verehrende Ausmaße annimmt. Sei es der zunehmende Populismus, sei es der Alltag in der digitalen Welt, der jetzt in der Pandemie noch stärkere Folgen für uns hat. Irgendwann kommt der Zeitpunkt, als Florence beginnt, das System in Frage zu stellen. Als Eric in ihr Leben tritt, können beide gemeinsam einen Weg suchen, um aus der durchüberwachten, totalitären Welt auszubrechen.
Ein Roman, der wachrüttelt, mahnt, erinnern lässt. Auch wenn er scheinbar in einer Parallelwelt spielt, so ist doch der Alltag weitaus keine Utopie, wie vielleicht noch bei George Orwell. Wo unsere Gesellschaft in Deutschland und Europaweit steht, kann jeder für sich selbst einschätzen.
Philip Kerr, 1956 in Edinburgh geboren, dessen erster Roman „Feuer in Berlin“ 1989 erschien. Aus dem Debüt entwickelte sich die Serie um den deutschen Privatdetektiv Bernhard Gunther. Die mehrbändige Krimireihe erhielt zahlreiche Preise. Kerr lebte in London, wo er 2018 verstarb.
Das Buch „1984.4“ ist für Leser ab 14 Jahren. Und vielleicht ist es so, wie es sich die Lektorin Christiane Steel in ihrem Artikel über Philip Kerr vorstellt. Irgendwo in einer Parallelwelt sitzt der Autor an seinem Schreibtisch und schreibt an einem neuen Buch.